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Boyle in Basel: «LSD war keine gute Droge für mich. Mein Kopf war so schon hyperaktiv»

US-Bestsellerautor T.C. Boyle stellte seinen jüngsten Roman «Das Licht» in Basel vor. Ein Gespräch über Gott, Sargnägel und psychedelische Visionen. Ach ja, auch über Trump

Nein, in Basel hat er nicht recherchiert, obwohl sein neuer Roman dort beginnt, mit Albert Hofmanns berühmter Fahrradfahrt heim nach Bottmingen, dem ersten LSD-Trip der Geschichte. Wie genau man «Bottmingen» ausspreche, will er wissen, und die Mittlere Brücke, über die Hoffmann damals gefahren ist, schaut er sich genau an. Und als ihm der Fotograf erzählt, er habe Albert Hofmann an seinem letzten Wohnort besucht, ist er begeistert. Richtig entzückt aber ist er, als ihm beim Fototermin am Rhein ein Schwarm Möwen um die Ohren fliegt.

T. C. Boyle, Sie ahnen meine erst Frage?

Hm … warum Trump Präsident ist? (lacht)

Das kommt später. Aber nein, die erste Frage, bei diesem Buch natürlich …

… meine Drogenerfahrung!

Genau. Was war Ihr schönstes Erlebnis auf LSD?

Ich habe vielleicht zehn Mal LSD genommen. Es war keine gute Droge für mich. Das Schönste waren sicher die Farben. Ich fühlte mich euphorisch, zunächst. Aber ich bevorzugte Drogen, die mich runterfahren, mein Kopf ist ohnehin hyperaktiv.

Was war Ihre schlimmste Erfahrung?

Ich erinnere mich nicht genau, aber etwas in der Art, wie wenn man nicht einschlafen kann, weil der Kopf immer weiterdreht. Und man sieht Dinge, obwohl man die Augen geschlossen hat.

Wo haben Sie mit LSD experimentiert?

Wir waren alle Hippies. Wir lebten zusammen in einem grossen alten Haus, das wir für den Winter gemietet hatten, ausserhalb von New York, wo ich aufgewachsen war. Wir hatten einen Kamin, laute Musik, wir hatten eine Party und wir wollten high sein, durch was auch immer.

Suchten Sie auch nach Wahrheit, wie die Leute in Ihrem Roman?

Davon hatte ich damals keine Vorstellung. Ich war bloss ein ungebändigtes Kind. Heute interessiert mich vor allem die Vorstellung, wie unser Kopf funktioniert. Warum sollte eine Chemikalie, die aus dem Mutterkorn-Pilz isoliert wird, uns verwandeln? Man nennt diese Drogen Entheogene, sie erlauben einem, Gott zu sehen. Aber gibt es einen Gott? Und wenn ja, wie kann Gott als eine Art neuronale Unterbrechung im Gehirn in Erscheinung treten? Heisst das, Gott ist bloss eine Erfindung, eine Täuschung, etwas Surreales?

Was glauben Sie?

Ich bin Materialist. Ich habe meine fünf Sinne und ordne mein Leben damit, was ich durch sie wahrnehme. Ich glaube an Evolution, Biologie und Menschen als Lebewesen unter ganz vielen Lebewesen.

Man sagt auch, LSD schärfe die Sinne.

Hier in diesem Raum höre ich ein Rattern, ich sehe draussen Fahnen flattern, aber das filtere ich heraus, weil ich mich auf unser Gespräch konzentriere. Man kann davon ausgehen, dass Albert Hofmanns Erfindung das Gehirn entwaffnet, sodass die Sinneseindrücke ungefiltert durchdringen. Unser Bewusstsein ist in gewisser Hinsicht unterdrückend, deswegen nehmen wir Drogen. Es ist eine Art, loszulassen. Jeder kennt das, jeder war schon einmal berauscht. Aber als Materialist muss ich auch zugeben, dass es Wirklichkeiten gibt, die wir nicht wahrnehmen können. Ein Hund hätte eine ganz andere Wahrnehmung dieses Raumes mit seinen Geräuschen und Gerüchen als wir.

Sie haben oft gesagt, Schreiben sei Ihre neue Droge. Wie das?

Es erlaubt mir, aus meinem Bewusstsein auszubrechen. Deswegen lieben wir es, Bücher zu schreiben und zu lesen. Es trägt uns aus uns selbst hinaus. Wir alle haben schon einmal ein Buch in die Hand genommen, waren aber abgelenkt und konnten es nicht geniessen. Eine Woche später nimmt man dasselbe Buch wieder zur Hand und ist total gebannt. Man ist in einer anderen Welt versunken.

Erleben Sie das beim Schreiben?

Beim Schreiben bin ich in einer solchen Welt oder ich versuche, dorthin zu gelangen, was mir nicht immer gelingt. Es ist Magie. Woher kommen die geschriebenen Werke, die Musik oder die Kunst, die wir lieben? Sie kommen aus einem Flow, aus dem Unterbewussten. Und vielleicht gibt es wirklich so etwas wie ein kollektives Unterbewusstsein. Aber nicht nur das Schreiben, auch die Natur ist wichtig für mich. Immer wenn ich mit der Arbeit fertig bin, gehe ich in den Sequoia National Forest. Dort gibt es nur mich und die Lebewesen und den Himmel. Ich verbringe Stunden dort draussen. Das sind die Dinge, die mein Bedürfnis nach harten Drogen ersetzen. Sie fahren mich runter.

Ihr Roman folgt Drogen-Guru Timothy Leary. Wie sehr erzählt der Roman realistisch die Geschichte nach?

Es geht nicht um Leary. Es geht darum, wie diese Droge in die Gesellschaft hinausgelangte, um die Übergangsphase. Dabei taucht auch die Frage auf: Was wäre gewesen, wenn Albert Hofmann nie LSD entdeckt hätte. Wären die 1960er-Jahre dieselben gewesen? Wir hätten andere Dinge gefunden. Timothy Leary hat die Psychologie auf den Kopf gestellt, er war ein seriöser Akademiker, mit Ambitionen. Aber sobald er dieses Werkzeug gefunden hatte, um das Bewusstsein zu öffnen, kam er nie wieder zurück. Albert Hofmann hingegen hatte ein gutes Gleichgewicht.

War er kontrolliert?

Sie können sich selbst die Frage stellen: Wären Sie lieber Hofmann oder Leary?

Wer wären Sie lieber gewesen?

Hofmann! Er war ein Familienvater, er arbeitete viel und bekam Anerkennung im Leben. Aber er hatte auch die spirituelle Seite, er liebte die Natur und war oft draussen, bevor er je Erfahrungen mit psychedelischen Drogen gemacht hat. Leary hingegen hat sich das Hirn aus dem Kopf gejagt und wurde ein Clown. Wir Hippies hatten keinen Respekt vor ihm. Für uns war er eine erbärmliche Figur. Deswegen war es für mich interessant, ihn als kraftvolle, charismatische Persönlichkeit zu sehen, bevor er so tief fiel.

Waren die Hippies Träumer und Utopisten oder wollten sie bloss frei sein und sich ganz grundlegende Bedürfnisse erfüllen? Vielleicht ähnlich wie Leute heute?

Die Hippie-Bewegung war ein Weg, das Joch der konservativen Gesellschaft abzuwerfen, die Übernahme durch den rechten Flügel Amerikas. Wir protestierten damals gegen den kriminellen Präsidenten Nixon und gegen den kriminellen Krieg in Vietnam. Ich hoffe, dass sich heute eine neue Bewegung formieren wird. Am Tag, nachdem dieses Monster Trump in Amerika die Macht übernommen hat, gingen die Frauen auf die Strasse. Aber unterdessen hält das schon zwei Jahre an. Die Zerstörung des Bildungssystems, die Zerstörung der Umwelt – es wird sehr lange dauern, bis wir darüber hinwegkommen, selbst wenn Trump jetzt sofort verschwinden würde.

Mit den neuen Machtverhältnissen im US-Parlament, wo die Demokraten im Repräsentantenhaus die Mehrheit haben, hat sich die Situation verändert.

Wir haben grosse Hoffnung. Diese letzte Wahl ist eine der aussagekräftigsten Wahlen der Geschichte. Ich weiss nicht, ob wir Trump loswerden, bevor seine Zeit um ist. Aber ihm werden die Hände gebunden sein und er wird bloss noch sich selbst schützen. Es wird mehr Strafverfolgungen geben, seine Steuerzahlungen werden genau angeschaut werden. Ich denke, er wird in den verbleibenden Jahren nicht mehr viel Schaden anrichten können. Und wenn das alles einmal durchgestanden ist, hoffe ich, wird es eine Wende zum Guten geben. Nach Nixon kam Jimmy Carter. Er war kein grossartiger Politiker, aber ein grossartiger Mensch, der an soziale Wohlfahrt glaubte und daran, den Menschen zu helfen, an Bildung und daran, die Umwelt zu schützen.

Wird Trump bei den nächsten Präsidentschaftswahlen verschwinden?

Ich hatte den Leuten versichert, dieser Clown von Trump hätte keine Chance, je Präsident zu sein (lacht). Ich liege immer falsch. Aber ich habe Hoffnung.

Sie sind ein weiser, erfahrener Mann. Letztes Jahr wurden Sie 70 Jahre alt.

Ich hatte Glück!

Was ändert sich damit für Sie?

Das Alter ist ein Prozess des Leugnens. Man macht genau dasselbe weiter, was man immer getan hat. Mit der Zeit erodiert es, aber man ignoriert das. Und dann ist man tot.

Wie haben Sie Ihren 70. Geburtstag gefeiert?

So, wie ich seit meinem 21. Geburtstag alle meine Geburtstage gefeiert habe: Ich gehe ganz allein in einen dunklen Schrank und lecke meine Wunden.

Sie sind in die Natur gegangen.

Nein. Ich feiere überhaupt nicht. Jeder Geburtstag ist bloss ein weiterer Sargnagel.

Sie sind gegen den Waffenfanatismus in den USA. Aber Sie haben erzählt, Ihre Frau, Mrs Boyle, habe ein Gewehr gekauft …

… ja, das hat sie.

… als eine Art Pensionierungsplan. Wann werden Sie es brauchen?

Ich hoffe, dass ich es nie brauchen werde.

Was wäre ein Grund für Sie?

Verzweiflung.

Wegen des Alters?

Wegen des Tods. Ich will nicht Ihre Leser schockieren. Aber wir sind dazu verdammt, zu sterben. Wir haben die Kunst, wir haben die Natur, wir haben persönliche Beziehungen und ich selbst bin eine freudvolle Person. Aber darunter liegt immer das Bewusstsein, dass alles sinnlos ist. Und tragisch. Es ist so: Das Beste, was man im Leben erwarten kann, ist es, dem Schlimmsten zu entgehen.

Ihr Roman endet tragisch. Vor zwei Jahren sagten Sie mir in einem Interview, Sie wollten Albert Hofmann am Schluss noch einmal auftreten lassen. Warum tut er das jetzt nicht?

Ursprünglich gab es im Roman einen Epilog. Er war nur etwa zwanzig Seiten lang und man sah darin Hofmann, wie er von den Hippies gefeiert wird. Aber mein amerikanischer Verleger und mein Agent waren beide sehr dafür, das Buch so enden zu lassen, wie es jetzt endet. Und sie überzeugten mich.

Warum?

Ich mag Symmetrie. Und fast alle meine Texte sind genau so, wie ich sie haben wollte. Aber ich traue vor allem meinem Agenten, er ist wie ein Vater für mich. Meist sagt er nichts. Wenn doch, dann höre ich auf ihn.

Was war seine Begründung?

Er fand, der Epilog hätte einen aus der Geschichte herausgerissen. Die Geschichte über das Paar in Learys Gefolgschaft und die letzte Zeile des Buches seien so stark. Das habe mehr Schlagkraft.

Was ist für Sie das Erbe der Hippie-Zeit?

Für mich? Schauen Sie mich an! Sie sprachen von Freiheit. Wir machten uns keine Sorgen darum, einen Job zu bekommen, einen Beruf zu erlernen, bürgerlich zu werden, ein Haus zu besitzen oder was auch immer. Wir taten nur das, wozu wir Lust hatten.

Und für die Gesellschaft? Manche Leute kritisieren, die Hippies hätten damals alle Wertmassstäbe zerstört.

Ja, ich bin einer von diesen! In gewissem Mass rissen wir alles nieder – Familien und Werte und wir ersetzten sie mit nichts, ausser Anarchie. Als Amerikaner, muss ich auch sagen, wurde ich von klein auf dazu erzogen, Autorität anzuzweifeln und ein Rebell zu sein. In meinem Roman «Hart auf Hart» reflektiere ich das. In einer freien Gesellschaft endet meine Freiheit aber dort, wo sie sich auf die Freiheit der anderen Menschen auswirkt. Dessen muss man sich bewusst sein und daran muss man arbeiten. Mit meinem Lebenswerk, früher auch als Uniprofessor, gebe ich meine Liebe zur Literatur weiter. Damit gebe ich der Gesellschaft etwas zurück. Aber wir hatten unsere Zeit, in der wir wild waren und Mauern einrissen und nicht gradlinig Autoritäten folgten. Und das war gut.

17 Romane…

… hat US-Autor Tom Coraghessan Boyle bisher geschrieben und rund elf Bände mit Kurzgeschichten publiziert. Boyle ist in einem Vorort von New York aufgewachsen, seine beiden Eltern waren Alkoholiker. Er ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Boyle wohnt in Montecito, Kalifornien, und verbringt viel Zeit in einer Holzhütte in der Sierra Nevada. Sein jüngster Roman «Das Licht» ist in der Übersetzung von Dirk Gunsteren bei Hanser erschienen.

publiziert in AZ Nordwestschweiz / AZ Medien am 13. Februar 2019. Bild: © Roland Schmid