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Happy Birthday, Schweizer Buchpreis! Eine Erfolgsgeschichte in zehn Punkten

Der Schweizer Buchpreis wird nächstes Wochenende zum zehnten Mal vergeben. Zehn Blicke auf eine Erfolgsgeschichte

1 Die Anfänge

Der Schweizer Buchpreis geht auf die Initiative des verstorbenen Verlegers Egon Amman zurück, der eingesprungen war, um die frühere Basler Buchmesse in die Form eines Buchfestivals hinüberzuretten. Und auf das Engagement des Geschäftsführers des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbandes (SBVV) Dani Landolf. Der Bund unterstützt die Auszeichnung nicht, weil sie nicht auf den innerschweizerischen Austausch und auf die vier Landessprachen ausgerichtet ist. Zum Jubiläum ist Dani Landolf denn auch zunächst einmal stolz, dass der Preis zehn Jahre finanziert werden konnte.

2 Die Finanzen

Das jährliche Budget des Schweizer Buchpreises beträgt 120’000 Franken. Der Betrag umfasst das Preisgeld (30’000 für den Gewinner und je 2500 für die vier Nominierten), eine Entschädigung für die Jury, die Kosten für die Lesetour, die Preisverleihung und Werbemittel. Das Budget wird je hälftig vom Verein Literatur Basel und vom SBVV gestemmt sowie von Stiftungen und Sponsoren. Die Ausgaben für die Vermittlung entsprechen etwa einem Sechstel des Budgets, das dem Bundesamt für Kultur (BAK) für die Vermittlung der Schweizer Literaturpreise zur Verfügung steht (2017: Gesamtbudget mit Preisgeldern 759 195 Franken, davon rund 500’000 für Preisfeier, Werbung und Vermittlung). Die Ausrichtung ist unterschiedlich, das BAK berücksichtigt Literatur aus allen vier Landessprachen. Trotzdem ist die Resonanz des Schweizer Buchpreises ungleich höher.

3 Die Eklats

Gleich bei der ersten Austragung des Schweizer Buchpreises sorgte Adolf Muschg für einen Eklat. Der Schriftsteller war mit dem Roman «Kinderhochzeit» auf der Shortlist für den Preis nominiert, er hatte seinem Verlag die Einwilligung gegeben, das Buch einzureichen, zog sich aber am Vorabend der Preisvergabe wieder zurück. War es aus Eitelkeit, weil der Doyen der Schweizer Literatur seine Hoffnungen auf den Gewinn schwinden sah? Oder war es tatsächlich wegen seines Unbehagens gegenüber der markttauglichen Inszenierung von Literatur? Auch letztes Jahr gab es einen Eklat, als der Gewinner Christian Kracht nach Entgegennahme der Blumen die Feier verliess, damit die vereinbarten Interviews ausschlug und die Veranstalter brüskierte.

4 Die Verjüngungskur

Bei der Bekanntgabe der Shortlist für den dritten Schweizer Buchpreis 2010 ging ein Raunen durch die Schweizer Medienlandschaft: Mit «Dr Goalie bin ig» von Pedro Lenz wurde erstmals ein Mundartroman für die Wahl zum besten Buch des Jahres nominiert. Lenz gewann den Preis zwar nicht, er ging an Melinda Nadj Abonji, was jedoch nicht weniger für das Auffrischungspotenzial des Preises spricht. Ausgezeichnet wurde eine Autorin, die in der Provinz Vojvodina in Serbien geboren war und die in ihrem Roman «Tauben fliegen auf» über ein zerrissenes Europa spricht. Auch in anderen Jahren gelang es dem Schweizer Buchpreis, eine Erneuerung in der öffentlichen Wahrnehmung anzustossen, mit der Nomination von Debüts von Frauen – oder mit der Auszeichnung von Peter von Matts Essaysammlung «Das Kalb vor der Gotthardpost» (2012).

5 Die Verkaufserfolge

Der Preis wurde lanciert, um die Buchbranche als Ganzes anzukurbeln. Mit Werbemitteln und einer gut organisierten Auslieferung der Bücher ist er eng mit dem Handel verzahnt. Während die Nomination für die Shortlist nur wenige zusätzliche Verkäufe auslöst und diese Bücher es selten in die Top 20 der Bestenlisten schaffen, verhilft der Preis dem Gewinnerbuch zu einer zweiten Blüte. Lukas Bärfuss, Catalin Dorian Florescu und Melinda Nadj Abonji, die zudem den Deutschen Buchpreis gewann, konnten bis zu 50’000 zusätzliche Exemplare in der Schweiz absetzen. Wermutstropfen: Viele, oft die erfolgreichen, Schweizer Autoren publizieren in deutschen Verlagen. Zudem: Durch den Preis werden marktstärkere deutsche Verlage auf Autoren aufmerksam und werben sie ab – etwa Nadj Abonji. Der Preis schlägt damit nur bedingt auf die Schweizer Verlage durch.

6 Der Ruf

Auch wenn die Kandidaten der Shortlist nicht unbedingt in die Bestsellerlisten vorrücken, lenkt die Nomination den Blick auf Autoren, denen dadurch neue Beachtung zukommt – nicht nur beim hiesigen Publikum, auch über die Landesgrenzen hinaus in den Medien und in der Branche. So war es etwa bei Thomas Meyer (2012), Meral Kureyshi (2015), Christoph Höhtker (2016) oder bei Martina Clavadetscher in diesem Jahr.

7 Die Reichweite

Seit 2015 wird die Preisverleihung, die jeweils zum Abschluss der Buch Basel stattfindet, live via Radio SRF übertragen, was die Reichweite und die Resonanz der Preisverleihung massiv erhöhte – ein Meilenstein für Dani Landolf. Ebenfalls seit 2015 haben die Veranstalter das Echo ins Netz verlängert: Drei Blogs schreiben über den Preis, darunter eine Buchhändlerin und die Studenten von Jury-Mitglied Philipp Theisohn.

8 Die Juroren

Die Jury wird regelmässig erneuert. Setzte sie sich anfangs ausschliesslich aus Literaturkritikern zusammen, ist seit 2011 eine Person aus dem Universitätsbetrieb dabei, seit 2014 zudem eine Buchhändlerin. Mit der Meinung der Buchhändler wurde die Nähe zu den Lesern stärker gewichtet.

9 Das Sofa

Schweizer Autoren sollen auch in Deutschland und Österreich mehr ins Gespräch und in den Verkauf kommen. Deswegen führte eine Lesetour die Nominierten von Beginn weg ins Ausland. 2016 erhielten sie erstmals einen Platz auf dem Blauen Sofa der Frankfurter Buchmesse, der prominentesten Plattform für Literatur. Und 2017 strahlte der deutsch-französische Kultursender Arte ein Gespräch mit den Kandidaten aus.

10 Der Ausblick

Die anfänglichen Differenzen zwischen dem Bundesamt für Kultur (BAK) und den Veranstaltern des Schweizer Buchpreises haben sich abgeschwächt. Die Ausstrahlung des Schweizer Buchpreises dürfte dazu beigetragen haben. Die BAK-Preise sind auf den kulturellen Austausch in der Schweiz und die Förderung des nationalen Zusammenhalts ausgerichtet, der Schweizer Buchpreis orientiert sich am gesamten deutschen Sprachraum. Trotzdem bestehen für die Zukunft Ideen, die beiden Preismodelle zusammenzuführen, um das vorhandene Geld und allfällige Synergien zu nutzen, sagt Dani Landolf. Spruchreif ist noch nichts. Das BAK will sich dazu nicht äussern.

Viel Welt, viel Skepsis, viel Ironie

Im letzten Jahr mag man Peter Stamm auf der Shortlist für den Schweizer Buchpreis vermisst haben. Vielleicht hatte sich die Jury gescheut, mit ihm einen zu deutlichen Favoriten ins Rennen zu schicken. Dieses Jahr ist Jonas Lüscher mit dem Roman «Kraft» nominiert. Der Berner Autor stand 2013 mit der Novelle «Frühling der Barbaren» schon einmal auf der Shortlist. Mit seinem Romandebüt «Kraft» zeigt er, dass er seine Themen virtuos zum Roman ausbauen kann. In «Kraft» schickt Lüscher einen europäischen Geisteswissenschafter an einen Wettbewerb ins Silicon Valley. Dort lässt er ihn kolossal scheitern – und mit ihm die Werte, für die das alte Europa steht. Da ist viel Welt, viel Skepsis, gesellschaftspolitische Relevanz, aber auch viel Selbstironie und Witz drin. Das Buch wurde in allen grossen deutschsprachigen Zeitungen gefeiert, es ragt aus den Nominationen heraus.

Beeindruckend ist auch Julia Weber, wie sie in «Immer ist alles schön» der Welt die Kraft der Fantasie und eine berührende Ge- schwisterliebe entgegenhält. Lukas Holliger jongliert in «Das kürzere Leben des Klaus Halm» virtuos mit dem Doppelleben seines Antihel- den. Der Aargauer Urs Faes zeichnet in «Halt auf Verlangen» ein ehrliches Bild eines strauchelnden Krebspatienten, der nicht aufgibt. Und Martina Clavadetscher stellt in «Knochenlieder» eine düstere Zukunftsvision in den Raum.

publiziert in Schweiz am Wochenende / AZ Medien am 4. November 2017. Bild © Severin Bigler